Tafelsilber unterm Kronendach

Am Rande des Malchiner Sees und der Mecklenburgischen Schweiz liegt das beschauliche und schöne Dörfchen Tessenow.
Hier kann man nicht nur die Landschaftsgenese der Weichsel-Kaltzeit lesen lernen und durch die wunderschöne Kulturlandschaft wandern, sondern auch die Ruhe und den weiten Blick genießen.
Verlässt man Tessenow auf der kleinen Straße in östlicher Richtung, entdeckt man das Sinnbild unscharfer Schnittstellen zwischen Natur-, Denkmal- und Waldschutz: die Überbleibsel des einstigen Gutshauses Tessenow samt den Wirtschaftsgebäuden und dem dazugehörigen Gutspark. Linkerhand liegt das einzig erhaltene Gebäude, eine große Scheune, sowie die Fundamente einer weiteren großen Scheune und des Kuhstalls. Auf der rechten Straßenseite liegen inmitten des verwilderten Gutsparks noch wenige Fragmente des Gutshauses, Schornstein und Keller. Jahrhunderte der Gutswirtschaft, 40 Jahre Sozialismus und 30 Jahre Marktwirtschaft haben ihre Spuren im Gelände hinterlassen. Es ist spannend, sie zu lesen und zu entscheiden, was erhaltenswert ist und zum Verständnis der Gesamtsituation beiträgt.
Der Besitzer, die Tessenower Gutshof GmbH & Co. KG, hat Großes vor: Die Scheune soll restauriert, saniert und als Wohn-, Bildungs- und Kulturstätte genutzt werden. Der Park soll „entwildert“ werden, die alten Sichtachsen und Strukturen wiederhergestellt und ein erlebbarer Kultur- und Naturraum für Gäste und die lokale Bevölkerung entstehen.
Mit diesem Vorhaben kommen gleich mehrere Akteure, deren Belange durch das Projekt berührt werden, ins Spiel: Die Veränderungen an der Scheune und an den Ruinen rufen die Denkmalschutz- und Denkmalfachbehörde auf den Plan. Der ehemalige Gutspark, der sich durch die natürliche Sukzession teilweise zu Wald entwickelt hat und Lebensraum für Tiere, Pflanzen und Pilze ist, betrifft gleich drei Disziplinen: den Denkmalschutz, den Naturschutz und den Waldschutz. Diese müssen das Projekt und die geplanten Maßnahmen nun auf Grundlage der jeweils für sie geltenden Rechtsgrundlagen1 bewerten. Eine schwierige und gleichzeitig reizvolle Aufgabe.
So kommt es, dass an einem schönen Tag im Mai ein Vor-Ort-Termin mit dem Geschäftsführer der Tessenower Gutshof GmbH & Co. KG, zwei Vertreterinnen und einem Vertreter der Unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Rostock, der Ansprechpartnerin für die Gartendenkmalpflege im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern sowie dem Sachbearbeiter für Hoheit, Liegenschaften, Naturschutz und Waldverzeichnis des Forstamts Stavenhagen stattfindet. Es gilt nun, die einzelnen Zuständigkeiten im Gebiet festzustellen, miteinander abzustimmen und zu einer gemeinsamen Lösung zu finden.
Bei der Begehung des Areals lassen sich im vorderen Bereich klar und deutlich die historischen und gartenkünstlerischen Raumstrukturen erkennen: wertvolle Anpflanzungen mit Sommerlinde, Eibe, Fichte, Kastanie, Europäischer Lärche, Robinie und Rotbuche, verschiedene Reliefs, offene und geschlossene Flächen, räumliche Beziehungen zum (ehemaligen) Herrenhaus und der umgebenden Landschaft, Aussichtspunkte, Alleen und Sichtachsen zeugen von der Absicht, das Herrenhaus und seine Wirtschaftsgebäude harmonisch in die Landschaft einzufügen. Wie kann man diese Relikte erhalten und entwickeln, damit sie auch künftig noch nachvollziehbar sind?
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs überprägten Gehölze wie Bergahorn, Feld- und Flatterulme, Schwarzer Holunder, Weißdorn, Gemeiner Esche und Stieleiche, die sich durch natürliche Sukzession etablierten, die Parklandschaft und gaben ihr über die heutige, zum Teil waldartige, Gestalt. Ab 1891 bis zur Enteignung im Zuge der Bodenreform nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges befand sich das Gut Tessenow im Besitz der Familie von Bassewitz bzw. von Bassewitz-Levetzow. Der letzte Vorbesitzer war die Familie Erbrecht.
Im Rahmen der Vor-Ort-Begehung und durch die Bereitschaft zum Gespräch können sich die Fachleute austauschen. So wird das Für und Wider der Maßnahmen aus der Sicht der verschiedenen Disziplinen erklärt, das Verständnis für die Belange anderer Interessen weiterentwickelt. Es wird miteinander abgestimmt, welche Maßnahmen der Entwicklung im Gebiet möglich sind, um unter Berücksichtigung der Ziele und Interessen von Naturschutz, Denkmalschutz und Waldschutz dem Projekt einen guten Start zu ermöglichen.
Zu klärende Fragen in diesem Zusammenhang betreffen etwa die Abstandsflächen zu den noch vorhandenen Gebäuden oder mögliche Pflegearbeiten im Park. Werden durch die Wiederherstellung der Parkstrukturen Lebensräume von besonders geschützten Arten beeinträchtigt? Werden Lebensräume verbessert? Anhand welcher Elemente lassen sich die bestehenden Denkmaleigenschaften des Parks festmachen, wo hat sich die Fläche schon eindeutig zu Wald entwickelt? Welche Rechte aber auch Pflichten bringen die jeweiligen Einstufungen und Gesetze mit sich?
Aufgrund der vorhandenen Strukturen und Gegebenheiten schätzt Dr. Caroline Rolka, Ansprechpartnerin für die Gartendenkmalpflege im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern, ein, dass ein großer Teil des Areals als Gartendenkmal gemäß dem Denkmalschutzgesetz des Landes zu erhalten ist.
Dieter Hoffmann nimmt als Vertreter des Forstamts Stavenhagen eine sogenannte Waldfeststellung vor: Gebäude, Parkmerkmale wie Freiflächen, Wege und Gestaltungselemente entsprechend nicht den Waldeigenschaften. Diese Bereiche (links der Straße und im vorderen Bereich auf der rechten Straßenseite) fallen deshalb in die Zuständigkeitsbereiche von Denkmal- und Naturschutz. Im hinteren Bereich, in Richtung offener Landschaft, gibt es eine ganze Reihe von typischen Waldeigenschaften. Neben den fehlenden Parkelementen sind gleich mehrere Kriterien erfüllt: Naturverjüngung, ein Bestockungsgrad von 0,5, typische Waldstrauch- und Waldbaumarten, eine Flächengröße von mindestens 0,2 ha und mindestens 25 m Breite sowie einem Alter von mindestens sechs Jahren. Dieser Bereich fällt in die Zuständigkeit des Landeswaldgesetzes und ausführenden Behörden.
Für die Gebäude ist die Untere Denkmalschutzbehörde zuständig und berät den Besitzer bzw. erteilt Auflagen im Hinblick auf Umbau-, Anbau- und Sanierungsmaßnahmen.
Bei diesem Termin im Mai konnten einige Fragen geklärt, Hausaufgaben verteilt und das Vorhaben im Sinne aller Akteure vorangebracht werden. So ist der vordere Bereich des ehemaligen Parks (an den Gebäuden und der Straße) als Gartendenkmal nach dem Denkmalschutzgesetz des Landes, in Abstimmung mit der Naturschutzbehörde, zu erhalten. Hierdurch sind die Sanierungs- und Baumaßnahmen, gemäß den jeweils geltenden Gesetzen, im Sinne der Tessenower Gutshof GmbH & Co. KG umsetzbar. In Richtung Malchiner See sind die Strukturen des Gutsparks kaum noch zu erkennen. Dieser Teil bleibt Wald und ist gemäß dem Landeswaldgesetz als solcher zu behandeln.
Und die Moral von der Geschicht? Es funktioniert nur, wenn man miteinander spricht.
Nur wenn miteinander gesprochen und gearbeitet wird, wenn durch Offenheit und Toleranz Verständnis für andere Interessen entwickelt wird und so gute (Kompromiss)Lösungen für alle Beteiligten gefunden werden, können nachhaltig positive Arbeitsbeziehungen geknüpft werden und der Mut von Menschen für solche Projekte gestärkt werden. Ein Mut machendes Vorbild für ähnliche Ideen im Land.
1 Für die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege sind hier insbesondere die Regelungen zu Gebäude- und Gartendenkmalen sowie Denkmalbereichen im Denkmalschutzgesetz (DSchG M-V) relevant. Für den Naturschutz sind das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz - BNatSchG) sowie das Gesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes (Naturschutzausführungsgesetz - NatSchAG M-V) ausschlaggebend. Maßnahmen den Wald betreffend sind im Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft (Bundeswaldgesetz) und dem Waldgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Landeswaldgesetz - LWaldG) geregelt. Für alle Disziplinen gelten überdies weitere Rechtsgrundlagen und Verordnungen.
Autorin: Helen Andrews